Tierfriedhof Kerpen

... und dann wird der Liebling zu Seife


- von Eva Goris

"Sie schläft jetzt ganz sanft ein...," sagt der Tierarzt, als er Mischlingshündin Nelly von ihrem schweren Leiden erlöst. Kaum war das Hundeleben verloschen, die Augen gebrochen, stellte der Tierarzt die Frage, die alle Tierfreunde am meisten fürchten: "Wollen Sie Nelly mit nach Hause nehmen, oder ...?"
Familie Humbert kann Nelly nicht mit nach Hause nehmen. Humberts wohnen im Zentrum von München auf 60 Quadratmetern im dritten Stock einer Neubausiedlung. Frauchen ist traurig: "Wir haben keinen Garten für ein Grab."

Die Alternative ist grausam: Zwei Tage liegt Nelly neben dem Kadaver einer überfahrenen Katze, zwischen Zwergkaninchen, Meerschweinchen und einem Hund, der an Krebs verendet war. Fell an Fell, Körper an Körper. Eine Kühltruhe, voll mit toten Kuscheltieren.
Einmal in der Woche werden die Kadaver abtransportiert. In blaue Müllsäcke verpackt, landet Nelly schließlich in der Tierkörper-Verwertungs-Anstalt (TVA).
Auf die Rechnung schreibt der Tierarzt später: "Euthanasie eines Hundes, zuzüglich Transport in die Tierkörper-Verwertungs-Anstalt". In Deutschland liegen die Gebühren für die "fachgerechte Beseitigung" von toten Haustieren zwischen 30 bis 80 Euro.

Der letzte Weg vieler Hunde, Katzen und Kaninchen ist schlicht widerlich. Die "letzte Ruhestätte" deutscher Haustiere wird am liebsten totgeschwiegen.
Wie ein Haufen Müll werden etwa eine Million Haustiere aller Rassen (rund 300 000 Tonnen jährlich) von den Tierarztpraxen in diese sogenannten Abdeckereien transportiert.
Dort werden die toten Tiere zunächst enthäutet. Die Körper werden anschließend zusammen mit Schlachtabfällen bei 133 Grad sterilisiert, um Krankheitserreger abzutöten.
In industriellen Mühlen, die wie Häckselmaschinen arbeiten, werden die Körper zerkleinert, schließlich in vollautomatischen Großkesseln verkocht.
Insgesamt 1,3 Millionen Tonnen "Fleischabfall" werden pro Jahr in Deutschland verarbeitet. Für Experten eine "saubere und umweltfreundliche Lösung", für Herrchen und Frauchen schlicht eine Horrorvorstellung.
Endstation: Abdeckerei.
Endprodukt: Tierkörperfett.

Welcher Tierfreund will schon wahrhaben, dass sein Liebling später zu einem begehrten Grundstoff weiterverarbeitet wird?
Tiermehl und - vor allem - Tierkörperfett sind längst zum Industrieprodukt geworden: Basis für die Herstellung von Schmier- und Industrieölen, Leim und Kleber, Lacken und Kerzen, Waschmitteln und wichtige Bestandteile für die Kosmetikindustrie.
Knochenmehl kommt in Zahnpasta und Vitaminpräparate. Tierfett wird in Fettsäuren aufgespalten und zu Creme verarbeitet.


BILD am Sonntag, 19.02.1995, Seite 36/37